von Anne KleffmannTim Wybitul

Betriebsratsbeschlüsse sollen zukünftig auch gelten, wenn sie über virtuelle Konferenzen zustande kommen.  

Die Bundesregierung hat gestern angekündigt, durch entsprechende Gesetzesänderungen Betriebs- und Personalratsbeschlüsse per Video- und Telefonkonferenz zulassen zu wollen. Diese Regelung soll rückwirkend ab dem 1. März 2020 gelten und für Betriebsräte bis zum 31. Dezember 2020, für Personalräte bis zum 31. März 2021 in Kraft bleiben.

Praktischer Hintergrund

Viele wichtige, von den Arbeitgebern gerade anlässlich der Corona-Krise notwendige Maßnahmen unterliegen nach dem Betriebsverfassungsrecht („BetrVG“) einem Beteiligungsrecht des zuständigen Betriebsrats. Dies gilt zum Beispiel für die Einführung von Kurzarbeit, Regelungen zum Gesundheitsschutz oder Massenentlassungen. Diese Rechte der Betriebsräte gelten trotz der Corona-Krise uneingeschränkt. Der Arbeitgeber ist also auf einen handlungsfähigen Betriebsrat angewiesen.

Eine Zusammenkunft der Betriebsratsmitglieder zur Beratung und wirksamen Beschlussfassung ist aber seit Ausbruch der Corona-Pandemie angesichts vorübergehender Betriebsschließungen und Kontaktsperren erschwert bis unmöglich. Deshalb wurden in der betrieblichen Praxis notgedrungen bereits häufig Beschlüsse unter Einsatz von Videotechnik gefasst.

Rechtlicher Hintergrund

§ 33 BetrVG schreibt in seiner bisherigen Fassung vor, dass Betriebsratsbeschlüsse mit der Mehrheit der „anwesenden“ Mitglieder gefasst werden müssen. Zwar vertritt ein – angesichts der Digitalisierung der Arbeitswelt zunehmend wachsender – Teil der Fachliteratur die Auffassung, dass diese Vorschrift keine physische Anwesenheit erfordere, virtuelle Betriebsratssitzungen und Abstimmungen per Videokonferenz also schon jetzt zulässig seien. Diese Auffassung ist aber stark umstritten und Rechtsprechung existiert zu dieser Frage, soweit ersichtlich, noch nicht.

Die angekündigte Gesetzesanpassung würde die bestehende Rechtsunsicherheit im Interesse beider Betriebsparteien beseitigen. Dabei überrascht es, dass sogar Beschlussfassungen per Telefonkonferenz zulässig sein sollen. Beschlussfassungen im Umlaufverfahren sind aber weiterhin ausgeschlossen.

Sonstige Formerfordernisse

Es ist weiterhin erforderlich, dass der Betriebsrat die sonstigen Formalien für Betriebsratssitzungen einhält, z.B. die ordnungsgemäße Ladung aller Betriebsratsmitglieder unter Mitteilung einer Tagesordnung. Ferner muss zur Wahrung des Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit gemäß § 30 BetrVG sichergestellt sein, dass auch bei virtuellen Betriebsratssitzungen die Teilnahme unbefugter Dritter ausgeschlossen ist.

Die bisherige Ankündigung der Bundesregierung enthält keinen Hinweis darauf, dass die Betriebsparteien während der Corona-Krise vom für Betriebsvereinbarungen geltenden Schriftformerfordernis gemäß § 77 Abs. 2 BetrVG abweichen können. Die schriftliche Form kann danach weiterhin nicht durch die elektronische Form ersetzt werden. Arbeitgeber und Betriebsrat müssen also auf derselben Urkunde unterzeichnen. Es genügt beispielsweise nicht, wenn der Arbeitgeber nur die Kopie einer mit der Unterschrift des Betriebsratsvorsitzenden versehenen Ausfertigung unterschreibt. Hier kommt also in der Praxis insbesondere eine handschriftliche Unterzeichnung auf einer per Kurier übermittelten Ausfertigung der abzuschließenden Betriebsvereinbarungen in Betracht.

Datenschutzrechtliche Anforderungen

Neben den betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben müssen Betriebsräte und Arbeitgeber auch die Anforderungen des gesetzlichen Datenschutzes beachten. So schreibt etwa Art. 32 der EU Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein risikoangemessenes Maß an Datensicherheit (IT-Security) vor. Dies gilt gerade bei Videokonferenzen. Gegebenenfalls ist vor der Einführung solcher Systeme eine Datenschutz-Folgenabschätzung nach der Art. 35 DSGVO nötig. Wenn das Unternehmen die notwendige Technik zur Verfügung stellt, sollten sich Arbeitgeber und Betriebsräte daher zusammen mit der IT-Security-Abteilung und dem Datenschutzbeauftragten des Unternehmens auf Lösungen verständigen, die nicht nur dem Arbeitsrecht, sondern auch dem Datenschutz hinreichend Rechnung tragen.

Einige Datenschutzbehörden vertreten die Auffassung, dass der Betriebsrat selbst für den Datenschutz im Sinne der DSGVO verantwortlich sei. Einen Überblick zu diesem Thema finden Sie hier. In diesem Fall müsste dann der Betriebsrat selbst für die gesetzlich vorgeschriebene IT-Sicherheit sorgen.

Allerdings lässt sich die datenschutzrechtliche Einordnung des Betriebsrats als eigene datenschutzrechtlich Verantwortlicher oder als Teil des Arbeitgebers als Verantwortlicher im Sinne von Art. 4 Nr. 7 DSGVO gut im Rahmen einer entsprechenden Betriebsvereinbarung regeln. Eine solche Betriebsvereinbarung kann dann auch andere datenschutzrechtliche Anforderungen und Rahmenbedingungen abdecken.

Ein praktischer Anwendungsfall für das neue Gesetz könnten beispielsweise Corona-Betriebsvereinbarungen sein, in denen Arbeitgeber und Betriebsrat bei der Aufnahme des Arbeitsbetriebs Infektionsschutz und Datenschutz rechtssicher regeln. So lassen sich nicht nur Ansteckungen, sondern auch Bußgelder wegen Datenschutzverstößen belastbar vermeiden.

Fazit

Die Zulassung der Beschlussfassung durch Video- und Telefonkonferenz ist zur Schaffung von Rechtssicherung unbedingt notwendig und sehr zu begrüßen. Der Betriebsrat bleibt damit auch ohne Präsenzsitzungen handlungs- und beschlussfähig. Endgültige Klarheit über die Details der Regelung besteht allerdings erst mit Vorlage des entsprechenden Gesetzesentwurfs bzw. mit Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes. Zudem wären Regelungen zum Datenschutz bei der virtuellen Betriebsratsarbeit zweckmäßig. Zumindest sollte der Gesetzgeber klarstellen, ob der Arbeitgeber oder der Betriebsrat dafür verantwortlich ist, dass der Datenschutz bei entsprechenden Video- und Telefonkonferenzen hinreichend umgesetzt wird.

Die Erfahrungen aus der befristeten Lockerung der Formvorschriften für Beschlussfassungen der Betriebsräte sollten vom Gesetzgeber genutzt werden, um über die bereits vielfach geforderte unbefristete Zulassung von virtuellen Betriebsratssitzungen und Beschlussfassungen zu entscheiden.