von Tim Wybitul, Dr. Tobias Leder, Dirk Schnelle, Joachim Grittmann

Was ist bei der Rückkehr zur betrieblichen Normalität zu beachten?

Auch wenn die derzeit geltenden Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie jedenfalls bis zum 3. Mai 2020 weitgehend in Kraft bleiben sollen, hat die Politik erste behutsame Lockerungen verkündet. Ein Schritt für die Rückkehr zur Normalität ist damit getan. Für viele Arbeitgeber stellt sich nunmehr die Frage: Was ist bei der (vollen) Wiederaufnahme der betrieblichen Tätigkeit zu beachten? Ein wichtigen Teilaspekt bildet der am 16. April 2020 veröffentlichte SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard („Arbeitsschutzstandard“). Dieser Standard des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales soll dazu dienen, bundesweit klare und verbindliche Standards zu haben. Insbesondere die Unfallversicherungsträger sind jedoch dazu aufgerufen diese Standards branchenspezifisch weiterzuentwickeln. Was es mit diesem Arbeitsschutzstandard auf sich hat und welche Punkte Arbeitgeber darüber hinaus beachten müssen, um Ihren Betrieb schnell und effektiv wieder aufzunehmen, haben wir im Folgenden zusammengefasst:

SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard

Jeder Arbeitgeber ist bereits von Gesetzes wegen in der Pflicht, Maßnahmen zum Schutz seiner Beschäftigten vor einer COVID-19 Infektion zu ergreifen (§ 618 BGB, §§ 3 ff. ArbSchG). Welche Maßnahmen in der derzeitigen Situation im Einzelfall erforderlich sind, wird für viele Unternehmen aus eigener Expertise allerdings kaum zu beurteilen sein. Hier bietet der Arbeitsschutzstandard Hilfestellung. Er gibt vor, was aus Sicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der konsultieren Interessenvertretungen zu beachten ist. Wer diese Vorgaben umsetzt, ergreift nicht nur zum Schutz seiner Beschäftigen die nach derzeitigen Erkenntnissen richtigen Maßnahmen; er minimiert zudem Risiken, die mit einer Verletzung von Arbeitsschutzmaßnahmen einhergehen – wie beispielweise Schadensersatzansprüche.

Prägend sind folgende stets zu beachtenden Grundsätze:

  1. Zwischen Personen ist ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Sofern dieser nicht sicher eingehalten werden kann, müssen Mund-Nasen-Bedeckungen zur Verfügung gestellt und getragen werden.
  2. Personen mit (nicht ärztlich abgeklärten) Atemwegssymptomen oder Fieber sollten sich nicht auf dem Betriebsgelände aufhalten; für kritische Infrastrukturen gelten jedoch die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Für Verdachtsfälle müssen Arbeitgeber ein Verfahren zur Abklärung festlegen.

Neben diesen allgemeinen Grundsätzen sieht der Arbeitsschutzstandard eine Vielzahl von besonderen technischen und organisatorischen Maßnahmen vor. Bei deren Umsetzung ist folgende Rangfolge zu beachten: Technische Maßnahmen gehen organisatorischen Maßnahmen vor und erst am Ende stehen personenbezogene Schutzmaßnahmen. Wie bereits dargelegt sind die Aufsichtsbehörden der Länder und Unfallversicherungsträger aufgerufen, den Arbeitsstandard branchenspezifisch konkretisieren und ergänzen. Der Arbeitsschutzstandard sieht unter anderem folgendes vor:

  • Besondere technische Maßnahmen
    • Arbeitsplatzgestaltung: Büroarbeiten sind möglichst im Homeoffice durchzuführen. Bei Publikumsverkehr sind transparente Abtrennungen zu installieren. Anderenfalls sollen die Raumkapazitäten genutzt werden und die Arbeiten so organisiert werden, dass Mehrfachbelegungen von Räumen vermieden werden bzw. ausreichende Schutzabstände gegeben sind. Wo dies nicht möglich ist, sind alternative Schutzmaßnahmen zu ergreifen (z.B. transparente Abtrennungen).
    • Sanitärräume, Kantinen und Pausenräume: Die Reinigungs- (z.B. kurze Intervalle, Türklinken/Handläufe) und Hygienemaßnahmen (z.B. Flüssigseife und Handtuchspender) sind anzupassen.
    • Dienstreisen und Meetings: Soweit möglich sollen Dienstreisen und Meetings auf das absolute Minimum reduziert werden und stattdessen Video- oder Telefonkonferenzen genutzt werden.
    • Weitere besondere Maßnahmen sind vorgesehen für Lüftung, Baustellen, Landwirtschaft, Außen- und Lieferdienste, Transporte und Fahrten innerhalb des Betriebs sowie Sammelunterkünfte
  • Besondere organisatorische Maßnahmen
    • Sicherstellung ausreichender Schutzabstände: Die Nutzung von Verkehrswegen (Treppen, Türen, Aufzügen etc.) ist so anzupassen, dass ausreichender Abstand eingehalten werden kann. Wenn mehrere Personen zusammenarbeiten (wie in der Montage) oder es erfahrungsgemäß zu Personenansammlungen kommt (Zeiterfassung, Kantine etc.), sollen die Schutzabstände der Stehflächen markiert werden. Soweit andere Maßnahmen nicht ausreichen, sollen Kantinen geschlossen bleiben/werden.
    • Arbeits- und Pausengestaltung: In Arbeitsbereichen oder gemeinsam genutzten Einrichtungen sind Maßnahmen zu treffen, um die Belegungsdichte zeitlich zu entzerren (versesetzte Arbeits- und Pausenzeiten, Schichtbetrieb). Bei Schichtplänen sollen möglichst dieselben Personen zusammenarbeiten und bei Beginn/Ende der Schicht verhindert werden, dass mehrere Beschäftigte zusammentreffen.
    • Zutritt betriebsfremder Personen zu Arbeitsstätten und Betriebsgelände: Besuche Betriebsfremder Personen sind auf ein Minimum zu beschränken und möglichst mit Kontaktdaten und Zeitpunkt des Betretens und Verlassens des Betriebsgeländes zu dokumentieren. Zudem müssen betriebsfremde Personen über die Infektionsschutzmaßnahmen informiert werden.
    • Handlungsanweisungen für Verdachtsfälle: Es sind betriebliche Regelungen zur Aufklärung von Verdachtsfällen zu schaffen. Hierzu soll eine möglichst kontaktlose Fiebermessung vorgesehen werden. Beschäftigte mit Symptomen sind aufzufordern, dass Betriebsgelände umgehend zu verlassen bzw. zuhause zu bleiben. Der betriebliche Pandemieplan sollte auch Regelungen treffen, um Personen zu ermitteln und informieren, die in Kontakt mit einer infizierten Person standen.
    • Psychische Belastungen durch Corona: Die zusätzlichen psychischen Belastungen sollen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt und durch geeignete Maßnahmen minimiert werden.
    • Weitere besondere organisatorische Maßnahmen sind vorgesehen für Arbeitsmittel/Werkzeuge sowie Aufbewahrung und Reinigung von Arbeitsbekleidung und persönlicher Schutzausrüstung.
  • Besondere organisatorische Maßnahmen
    • Mund-Nase-Schutz und persönliche Schutzausrüstung: Immer wenn Kontakt mit anderen Personen nicht vermeidbar ist bzw. Schutzabstände nicht sicher eingehalten werden können, sollen Mund-Nase-Bedeckungen (in besonders gefährdeten Bereichen: persönliche Schutzausrüstung) zur Verfügung gestellt und getragen werden.
    • Unterweisung und aktive Kommunikation: Der Arbeitgeber muss eine umfassende Kommunikation über die Präventions- und Schutzmaßnahmen zur Verfügung stellen (u.a. Hinweisschilder, Aushänge, Bodenmarkierungen machen, Unterweisungen durchführen).
    • Arbeitsmedizinische Vorsorge und Schutz besonders gefährdeter Personen: Den Beschäftigten ist die Beratung und Vorsorge durch den Betriebsarzt zu ermöglichen, ggf. auch telefonisch.

Wesentliche Schritte zur effektiven Wiederaufnahme des Betriebs

Angesichts der Vielzahl der vorgesehenen Maßnahmen und sonst zu beachtenden Punkte, sollte der Arbeitgeber bereits im Vorfeld eine umfassende Analyse der erforderlichen Schritte vornehmen und diese umsetzen, um den Betrieb schnell, effektiv und möglichst dauerhaft wieder aufnehmen zu können. Denn nur so können operative Risiken (wie unzureichender Schutz oder gar Erkrankung von Beschäftigten) und rechtliche Risiken (Arbeitsschutz, Datenschutz) minimiert werden. Diese Analyse sollte insbesondere die folgenden Punkte erfassen:

  • Überprüfung und Anpassung der Gefährdungsbeurteilung

Arbeitgeber sind verpflichtet, die mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen für die Beschäftigten zu ermitteln und die erforderlichen Arbeitsschutzmaßnahmen zu bestimmen (§ 5 ArbSchG, § 618 BGB). Angesichts der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Gefährdungen müssen Arbeitgeber diese Gefährdungsbeurteilungen überprüfen und – soweit erforderlich – an die aktuelle Situation anpassen. Der Arbeitsschutzstandard stellt nochmals ausdrücklich klar, dass der Arbeitgeber für die notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen die Verantwortung trägt und zwar auf Grundlage der Gefährdungsbeurteilung. Soweit dies also noch nicht erfolgt ist, sollte in einem ersten Schritt eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden.

  • Überprüfung und Anpassung der vorhandenen betrieblichen Regelungen

Zudem sollte der Arbeitgeber überprüfen, ob und inwieweit seine betrieblichen Regelungen anzupassen sind. Dies betrifft zunächst einmal die im Arbeitsschutzstandard genannten Regelungen, wie den betrieblichen Pandemieplan oder den „Infektions-Notfallplan“. Aber auch die bestehenden Betriebsvereinbarungen und andere allgemeine Regelungen sind zu überprüfen, z.B. Regelungen zur Arbeitszeit, zur Kantine, zu Zugangskontrollen.

Soweit in dem Betrieb Kurzarbeit gearbeitet wird, ist diese (schrittweise) wieder zu reduzieren. Betriebsvereinbarungen hierzu sind anzupassen, wobei insbesondere bei einer schrittweisen Reduktion darauf zu achten ist, dass auch die arbeitsrechtlichen Anforderungen v.a. an die Bestimmtheit und die Voraussetzungen für den Bezug des Kurzarbeitergelds berücksichtigt werden.

  • Abstimmung des Vorgehens mit den Gesundheits- und Datenschutzbehörden

Die Abstimmung einzelner Maßnahmen zum Gesundheitsschutz mit dem zuständigen Gesundheitsamt kann sehr hilfreich sein, um entsprechende Unsicherheiten bei der Umsetzung der gezeigten Anforderungen auszuschließen und rechtlichen Risiken zu vermeiden oder zu minimieren. Die Gesundheitsbehörden können grundsätzlich auch Stichproben über die Einhaltung der Maßnahmen durchführen, so dass eine frühe und enge Abstimmung mit den Gesundheitsbehörden auch dem Risiko möglicher Sanktionen (insbesondere Bußgelder) vorbeugen kann.

Aber auch in anderer Hinsicht kann es sehr zweckmäßig sein, von der zuständigen Gesundheitsbehörde einschlägige Aussagen und Bewertungen einzuholen. Denn ein effektiver Gesundheitsschutz setzt oft auch Kontrollen voraus, bei denen personenbezogene Daten von Beschäftigten anfallen. Dabei unterliegt die Verarbeitung von Gesundheitsdaten und sonstigen besonderen Arten personenbezogener Daten besonders hohen Anforderungen. Bei Fehlern drohen hohe Bußgelder nach Art. 83 DSGVO oder auch mögliche Schadensersatzansprüche betroffener Beschäftigter nach Art. 82 DSGVO. Derartige Risiken lassen sich durch eine vorherige Abstimmung mit der Datenschutzaufsichtsbehörde recht belastbar ausschließen. Dabei zeigt die Erfahrung, dass einschlägige Aussagen des Gesundheitsamts zur Geeignetheit und Erforderlichkeit einzelner Kontrollmaßnahmen zum Infektionsschutz häufig sehr hilfreich sind, um die zuständige Datenschutzbehörde von der Zulässigkeit einzelner damit verbundener Datenverarbeitungen zu überzeugen.

  • Einbindung der Betriebsräte und Abschluss entsprechender Betriebsvereinbarungen

Für viele der oben genannten Themen ist eine Änderung bzw. der Abschluss einer Betriebsvereinbarung erforderlich, da der Betriebsrat in vielen Fragen ein Mitbestimmungsrecht hat. Nur exemplarisch seien hier die Kantine, die Schichtpläne oder auch das sog. Ordnungsverhalten erwähnt. Aber auch Gesundheitskontrollen und die damit verbundene Verarbeitung personenbezogener Daten unterliegt Beteiligungsrechten und sollte eng mit dem Betriebsrat abgestimmt werden.

Wie bereits dargestellt, gelten bei der rechtskonformen Verarbeitung von Gesundheitsdaten strenge Anforderungen. Hier kann der Abschluss einschlägiger Betriebsvereinbarungen ein nicht unerhebliches Maß an Rechtssicherheit schaffen. Denn entsprechend gestaltete Betriebsvereinbarungen können nach Art. 88 DSGVO die Verarbeitung personenbezogener Daten rechtfertigen. Hierbei lassen sich gerade die vielen komplexen Anforderungen des Datenschutzes gut und rechtlich belastbar in Form einer Betriebsvereinbarung regeln, die die jeweiligen Vorgaben der DSGVO abdeckt.

  • Einbindung sonstiger relevanter Beteiligter

Allerdings erschöpft sich der Kreis der zu beteiligenden Personen nicht in den Betriebsräten und Behörden. Auch andere Personen – gerade im Hinblick auf den Arbeits- und Datenschutz – sind zu beteiligen, insbesondere die Datenschutzbeauftragten, Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärzte.

  • Weitere Überwachung und Anpassung der Maßnahmen

Selbst wenn alle Maßnahmen eingeführt sind, bleibt der Arbeitgeber noch Handlungsbedarf. Zum einen hat er darüber zu wachen, dass die oben genannten Maßnahmen zum Infektionsschutz auch beachten werden. Darüber hinaus sollte der Arbeitgeber auch prüfen, ob eine Anpassung der getroffenen Maßnahmen erforderlich ist – sei es zur Lockerung oder weil die getroffenen Maßnahmen sich als unzureichend erweisen.

Einen Überblick zu den datenschutzrechtlichen Herausforderungen und Lösungen insbesondere zum Abschluss entsprechender Betriebsvereinbarungen finden Sie hier.